Mehr als 3 Geburtsverletzungen der Körpermitte

Wir möchten uns in diesem Blog den Geburtsverletzungen der Körpermitte widmen.  

Schwangerschaft und Geburt sind herausragende Momente in der Biografie einer Frau. Es sind Zeiten der Transformation, welche Spuren an Seele und Körper hinterlassen. Diese Spuren können mit viel Freude und Unbeschwertheit, aber auch mit Leid und Geburtsverletzungen einhergehen. Jede Schwangerschaft und jedes Kind wird diese Erfahrungen individuell prägen und somit auch das Wochenbett und die darauffolgenden Zeiten beeinflussen.

Das Becken ist unser Mittelpunkt

Das Becken, als Symbol für Gleichgewicht, als Verbindung von „oben und unten“, beherbergt nicht nur die inneren und äußeren Geschlechtsorgane, sondern gibt auch dem ungeborenen Kind Halt und schafft zu gegebener Zeit den Weg, damit dieses geboren werden kann. Durch die Vielzahl von Gelenken und Muskulatur, die mit dem Becken verbunden sind, entstehen auch vielseitige Möglichkeiten und Aufgaben für diesen zentralen Körperbereich.

Was sind Geburtsverletzungen?

Denn: unabhängig davon, wie und wann eine Geburt erlebt wird, ist der Geburtsweg anfällig für Verletzungen auf körperlicher Ebene. Diese können den Bauch- und/oder Genitalbereich betreffen. Mit einer hohen Verletzungsrate bei einer vaginalen (sogenannten spontanen) Geburt muss hier der Dammbereich genannt werden. Als Damm (Perineum) bezeichnet man die Region zwischen Vaginaöffnung und analem Schließmuskel. Dieser wird bei einer vaginalen Geburt um 170% gedehnt und dabei entstehen häufig (85%) Dammverletzungen, entweder spontan als Riss oder durch einen gesetzten Dammschnitt (sogenannte Episiotomie).

Die unbekannten Geburtsverletzungen

Zudem gibt es auch weitere Geburtsverletzungen, wie zum Beispiel Risse der Vulvalippen (sogenannte Labienrisse), der Zervix oder Klitoris. Weniger bekannt sind Verletzungen der rektovaginalen Faszie oder auch die Entstehung von Levatoravulsionen oder Fisteln.

→ Diese und weitere schauen wir uns in diesem Webinar an „Arbeitsplatz Beckenboden“ 

Einteilung von Dammrissen

Die Verletzungen am Damm werden in vier Grade eingeteilt: Grad 1 betrifft Dammhaut- und Gewebe, Grad 2 schließt auch Teile der Beckenbodenmuskulatur mit ein, beim 3. Grad ist außerdem der anale Schließmuskel mitverletzt und beim 4. Grad zusätzlich auch das Rektum.

Dammrisse 3. und 4. Grades

Während die Verletzungen eines Dammrisses 1. und 2. Grades meistens komplikationslos ausheilen, kann die Wundheilung der Grade 3 und 4 länger dauern und mehr Schmerzen verursachen. Ein objektiv komplikationsloses Ausheilen muss dabei nicht mit einer subjektiven Beschwerdefreiheit übereinstimmen! Das Nähen eines Dammrisses- oder Schnittes kann durch die Entzündungsreaktion des Körpers postpartale Schmerzen entstehen lassen, die dann mit dem Risiko von Depressionen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr verbunden sind und somit die Lebensqualität und sexuelle Gesundheit beeinträchtigen können. Die Wahl der Nähte und die Nahttechnik beeinflussen somit die Dammschmerzen von Müttern nach der Geburt.

Tipps, um die Wundheilung zu unterstützen:

    • Hier könnte die Wochenbetthebamme helfen und, je nach Befund, auch Nahtmaterial frühzeitig entfernen

    • Optimale Bedingungen für die Heilung sind Ruhe und lokale Wärme über 28°C

    • Sowie Druck- und Zugentlastung (kein Schneidersitz!)

Dies bedeutet, den Begriff Wochenbett anfangs wörtlich zu nehmen. Wohltuend kann auch (nur!) die ersten 24 Stunden nach der Geburt ein Kühlpad oder eine kühle Arnikaauflage sein.  Nicht zu empfehlen ist dabei, einen Sitzring zum Sitzen zu benutzen, da dieser zu viel Zug auf die Geburtsverletzung bringt. Ein Sitzbad oder eine Spülung mit geeigneten Hilfsmitteln und Zusätzen können die Heilung unterstützen und nebenbei für die notwendige Hygiene sorgen.

Heilsam: Narbenmassage nach Dammverletzung oder Kaiserschnitt

Nach Abschluss der Wundheilung (kein Schorf mehr, Fäden sind aufgelöst oder gezogen) kann, nicht nur nach einem Kaiserschnitt, mit einer sanften Narbenmassage begonnen werden. Wir empfehlen dabei, sich von weiter außen nach innen langsam an die Narbe heranzutasten. Je weiter die Heilung fortgeschritten ist, desto mehr kann mit Zug und Druck gearbeitet und das Gewebe in alle Richtungen bewegt werden. Dabei unterstützen die Wochenbetthebamme, spezialisierte PhysiotherapeutInnen und andere Fachkräfte.

Viele Frauen (85,7%) haben laut einer Untersuchung von McDonald et al. Schmerzen beim ersten (penetrativen) Sex nach der Geburt. Vermehrt sind dies Frauen nach einer Geburtsverletzung. Oft ist es dabei auch das verhärtete Narbengewebe, welches die Schmerzen verursacht. Es lohnt sich also, mit einer Narbenmassage den Damm und die Vulva wieder geschmeidig und elastisch werden zu lassen. Dafür ist es nie zu spät!

Schmerz = Spannung, Spannung = Schmerz 

Weitere körperliche Schmerzen können auch aus einem verspannten Beckenboden resultieren. Sei es, dass dieser nach einer traumatischen Geburt reflektorisch anspannt, durch die veränderte Organlage unbewusst immer wieder aktiviert oder schlichtweg zu viel belastet wird. Hinzu kommt, dass der Beckenboden nach der Geburt als trainingsbedürftig gilt. Dabei wird übersehen, dass es auch ein „zu viel und zu früh“ gibt und nur ein sich entspannender Beckenboden auch kräftigen lässt.

Hilfreiche Übung beim verspannten Beckenboden

Deshalb ist es hilfreich zu lernen, wie der Beckenboden im Atemrhythmus schwingt und die damit entstehende An- und Entspannung bewusst wahrzunehmen und zu üben. Das kann als schöne meditative Übung in die Abendroutine eingebaut werden:

Lege dich dazu auf den Rücken (ggf. Becken mit Kissen hochlagern) und lege eine Hand auf den Bauch. Spüre, wie sich die Hand im Atemrhythmus hebt und senkt. Auf diese Weise bewegt sich auch der Beckenboden: Hebt sich einatmend der Bauch, gibt auch der Beckenboden Richtung Füße nach, zieht sich ausatmend der Bauch wieder zurück, zieht sich auch der Beckenboden wieder zurück. Stelle es dir wie ein Segel vor, was im Wind mühelos hin und her schwingt.“

Geburtsverletzungen

Fazit: Verletzungen erkennen, annehmen und interdisziplinär arbeiten

Zusammenfassend können wir sagen, dass es unterschiedliche Gründe für Schmerzen aufgrund einer Geburt geben kann und dass jede Frau hierbei ihre ganz eigenen Empfindungen und Bedürfnisse hat. Das Annehmen der Verletzungen kann ein Prozess sein, der am Ende das Potential haben soll, sich positiv auf die Gesundheit der Frau auszuwirken.

Wir appellieren deshalb eindringlich an alle Betroffenen, sich nicht vertrösten zu lassen, sondern Hilfe einzufordern. Genauso möchten wir auch alle Hebammen, GynäkologInnen, PhysiotherapeutInnen und weitere Berufsgruppen ermutigen, empathisch zuzuhören, Interventionen gut zu begründen und fachlich kompetent zu handeln.

→ Eine gute Basis dafür bieten wir Euch in unseren Beckenboden-TrainerInnen-Ausbildungen – fundiert, aktuell und interdisziplinär! … und für Praxis oder Zuhause haben wir Euch Übungen und Infos in unseren Beckenboden-Übungskarten-Set zusammengestellt. 

Wir würden uns freuen, gemeinsam Erfahrungen und Wissen auszutauschen und somit Frauen nach einer Geburt zu unterstützen!